von: Seifana El Ouali
Oktober 1, 2025
An meine Geschwister des Widerstands und der Verleugnung
Wer bestimmt, was gesagt werden kann und was verschwiegen werden muss? Unsere neue Serie an Einsendungen zu unserem Open Call zur Frage nach Politischer Literatur eröffnet Seifana El Ouali mit ihrem Text „An meine Geschwister des Widerstands und der Verleugnung“. Mit diesem können wir uns die Frage stellen, inwiefern der Text überhaupt politisch ist, welche Forderungen er stellt, ob er Literatur ist – und besonders, was es heißt, dass er bereits im Dezember 2023 geschrieben aber erst jetzt veröffentlicht wurde. Welche Umstände erlauben es welchen Meinungen Gehör zu finden? Warum war eine Veröffentlichung der Autorin nicht schon damals möglich? Diese Fragen sind immer zentral, wenn es um Politische Literatur geht. Wir freuen uns über Auseinandersetzung mit dem Text per Kommentar hier oder im Forum auf der Website sowie als eigene Einsendungen zum Open Call via

An meine Geschwister des Widerstands und der Verleugnung
Es ist der Verlust an Menschlichkeit, der mich antreibt zu schreiben. In Zeiten, in denen ein Genozid Raum und Zeit findet, nur noch Expertise und Professionalität Verleugnung legitimieren kann. Die Habgier nach dem Ego, der Gerechtigkeit, danach, Schuldgefühle ins Zentrum deiner Großeltern zu setzen, während Deutschland Waffen liefert wie noch nie an einen Staat. Ein kolonialer Staat, der seine Entstehung nur durch Europas Antisemitismus der Vergangenheit rechtfertigt. Herzls Idee nach dem „Platz in der Sonne“ durch die Bedrohung Deutschlands. Siedlerkolonialismus am Strand Palästinas. Siedlerkolonialismus vom Fluss bis zum Meer. Verletzt dich das? Dass ich sage, dass Israel kein Existenzrecht hat und, dass der 7. Oktober ein Terrorakt war – aus einer Widerstandsbewegung? „Ich denke, der Angriff der Hamas war ein Akt des Terrorismus, aber ich glaube nicht, dass sie dies zu einer terroristischen Organisation macht. Terrorismus ist eine Form politischer Gewalt.“ – Hörst du das? Schlägst du nicht auch irgendwann zurück, nachdem dir wiederholt ins Gesicht geschlagen wurde? Weißt du, was ‚politische Gewalt des Terrors‘ bedeutet? Die Manipulation, sie nur einer Gruppe als gerechtfertigt zuzuschreiben? Wieso ist der Akt des Widerstands nur einseitig berechtigt? Warum wird den israelischen Opfern vom 7. Oktober in der Menschenrechtsdebatte mehr Bedeutung beigemessen als den palästinensischen Opfern am 6. Oktober? Wieso weißt du nicht, dass der 7. Oktober sich seit 1948 in Palästina ständig wiederholt? Wieso fühlst du dich von der arabischen Sprache, den langen Bärten, der Kufiya und vom Kopftuch bedrohter als von der israelischen Flagge, den Waffen und Camouflage-Mustern der IOF? Ist es einfach nur die Meinung, die dich die deutsche Schuldfrage gelehrt hat? Die Position zu haben, weil der „‘Habenmensch‘[sich] auf das verläßt, was er hat [und worauf er] vertraut […]“? (Haben oder Sein, Fromm 2004). Oder sind wir menschlich und verstehen die Frage des Seins, dass es keine intellektuelle Perfektion in der Argumentation braucht, um genozidale Absichten anzuerkennen und die Ermordung und Vertreibung von Palästinenser*innen nicht jedes Mal auf die Goldwaage gegen das jüdische, schützenswerte Narrativ zu legen. Ich bin so müde von Deutschland, so müde von der Aussage, Neukölln würde den 7. Oktober feiern, anstatt die Trauer und Wut zu sehen, die das jährliche Töten, Foltern und Vertreiben mit sich bringt. Was hast du von Tötung und Mordverherrlichung verstanden, wenn du den Holocaust mit dem Genozid an Palästinenser*innen vergleichst, anstatt die Verbindung der zionistischen Wut und Gier nach Vergeltung zu verstehen – endlich einen „sicheren“ Staat herzustellen, sei der Preis die Ermordung 1000er Familien und die Erweiterung des Reichs Israels. Aber es waren schon immer die Araber, die Juden vertrieben haben, sagst du und ich lausche. Dieser Rassismus bringt mich um, die Ansicht, Araber seien eine homogene Gruppe, der man nur die muslimische Religion zuschreibt: Weil es keine Kurden, Christen, Aleviten, Drusen, Juden, Amazighi und Muslime gebe – dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein und aussehen, sondern leben sie auch noch überall. Auch in Palästina. Nein, es wird nur der Schauplatz eröffnet, in dem es die radikal-islamistischen Palästina-solidarisierten Menschen gibt und die Befürworter eines jüdischen Staats, die sich für den Frieden und die Demokratisierung im Nahen Osten einsetzen.
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